Tierärzte begehen – weltweit – überdurchschnittlich häufig Suizid. Was hilft? Vor allem offen darüber reden. Und Anlaufstellen mit Hilfsangeboten. Die gibt es international schon, in Deutschland aber noch nicht.
Eine Doktorandin (Kathrin Schwerdtfeger) gab 2016 den Anstoß, das Suizidrisiko bei Tierärzten hierzulande näher zu untersuchen. Rolf Nathaus fragt nach, was die jetzt vorliegenden Daten aus Deutschland sagen – und was man tun sollte? Die Professorinnen Mathab Bahramasoltani und Heide Glaesmer anworten.
Außerdem weiter unten auf dieser Seite: Weiterführende Informationen zu internationalen Aktionen (#NoOneMoreVet) und Hilfsangeboten für Tierärzte und Tierärztinnen.
Darüber werden Sie was hören – Zeitstempel
Hintergrund dieses Gespräches ist diese Publikation (PDF) und die international immer größere Aufmerksamkeit für dieses Thema.
Die Gesprächspartnerinnen
Prof. Dr. Mathab Bahramsoltani lehrt am Institut für Veterinär-Anatomie der Freien Universität Berlin. Neben ihrem klassischen Aufgabenbereich hat sie einen weiteren Schwerpunkt auf das Thema „Kommunikation für Studierende der Veterinärmedizin“ und
Ausbildungsforschung gelegt.
Prof. Dr. Heide Glaesmer ist Psychologische Psychotherapeutin und arbeitet an der Abteilung für Medizinische Psychologie und Soziologie der Universität Leipzig. Ein Arbeitsschwerpunkt ist die analytische Epidemiologie depressiver Störungen und Suizidalität.
Hintergrund und
weiterführende Links zum Thema
Mathab Bahramsoltani, Heide Glaesmer und Katrin Schwerdtfeger haben – soweit verfügbar – Daten für Deutschland erhoben. Ausgehend von einer Umfrage im Jahr 2016 haben sie 2020 im Deutschen Tierärzteblatt erste Ergebnisse (PDF-Download) veröffentlicht. Auf Fortbildungsveranstaltungen – zuletzt der Berlinder Tierärztlichen Gesellschaft – informieren sie jetzt über das Problem.
Der Bund angestellter Tierärzte hat hier eine gute Zusammenfassung erstellt.
Die im Podcast von Prof. Bahramsoltani angesprochene Untersuchung über das Lehrangebot im Bereich Kommunikation an den fünf deutschen Vetmed-Unis finden Sie hier.
Hashtag #NOMV in den USA
International geht man das erhöhte Suizidrisiko bei Tierärzten inzwischen sehr offensiv an. So erreicht die US-Hilfs-Aktion NotOneMorVet über Socialmedia (#NOMV) immer wieder neu Aufmerksamkeit für das Problem.
Aus den USA stammt auch die bisher umfangreichste Studie zu dem Thema. Veröffentlicht 2019 im Journal of the American Veterinary Medical Association, hat die CDC 398 Selbstmorde von Tierärzten untersucht. 75 Prozent waren Kleintierpraktiker.
Der US-Tierärzteverband AVMA hat für Tierärzte inzwischen auch ein „Wellbeing-Toolkit“ aufgesetzt
Vorbild Großbritannien
In Großbritannien gibt es gleich zwei Hilfsangebote für die Tierarztbranche:
vetlife hat vom rund um die Uhr besetzten Hilfe-Telefon über einen finanziellen Unterstützungsfond bis zur Mental-Health-Beratung ein umfangreiches Angebot aufgebaut.
VetMindMatters ist ein weiteres Projekt. Es geht um Mental-Health-Unterstützung für alle Beschäftigten in der Vet-Branche. Auf den Weg gebracht vom Royal College of Veterinary Surgeons (RCVS), wird Mind Matters inzwischen von neun Branchenverbänden getragen.
Medienecho in der Schweiz
„Wenn Mitgefühl tötet“ – mit dieser Überschrift hat in der Schweiz die Neue Züricher Zeitung ausführlich über das Thema berichtet (2019).
Der Artikel sieht Veterinärinnen als besonders suizidgefährdet an – im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung, in der sich Frauen seltener das Leben nehmen als Männer (Quelle). Auch wählten Tierärzte diesen Weg fast doppelt so häufig wie ihre Humankollegen.
Olivier Glardon, der Präsident der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST), hat als Lehrbeauftragter selber eine Studie zu Emotionen nach einer Euthanasie betreut. Tierärzte litten besonders häufig unter «compassion fatigue», der Mitleidermüdung: «Wer sich mit dem leidenden Patienten identifiziert, zeigt eher depressive Tendenzen», zitiert ihn der Artikel.
Beitragsfoto: © Adobe Stock / Fotos der Gesprächspartnerinnen: privat / Montage: mensch:tierarzt