Was treibt eine Fachtierärztin für Pferde dazu, die Behandlung im Stall gegen die Beratung am Bildschirm einzutauschen? Ein Gespräch über Kundenwünsche, Möglichkeiten und Grenzen der Telemedizin.
Was sagt die steigt wachsende Telemedizin-Nachfrage eigentlich über die Strukturen der Veterinärmedizin und das Verhältnis von Tierarzt und Patientenbesitzer aus? Ist die Telemedizin als digitales Beratungstool aus dem Praxisalltag bald nicht mehr wegzudenken? Wo sind die Grenzen? Und wo die Chancen? Darüber spricht Rolf Nathaus mit Dr. Theresa Sommerfeld, die eine rein digitale Tierarztpraxis (TelVet) gegründet hat.
Ergänzend gibt es in den Shownotes ein Sammlung an Hintergrundinformationen zur Telemdizin: Von einer Klassifizierung aktiver Anbieter über aktuelle (Kammer)Regeln bis zu Link-Tipps zu ausführlichen Telemedizin-Guidelines aus den USA.
Darüber werden Sie was hören – Zeitstempel:
Die Gesprächspartnerin
Dr. Theresa Sommerfeld stammt aus dem Nordschwarzwald und ist passionierte Reiterin. Nach Studium und Approbation (2014) an der Universität Gießen arbeitete sie drei Jahre an der Universitätspferdeklinik und promovierte auch dort. Es folgten Jahre als praktizierende Tierärztin in einer Praxis im Raum Frankfurt und einer Pferdeklinik sowie Hospitationen im Ausland. Parallel legte sie die Prüfung zur Fachtierärztin für Pferde ab.
Im Sommer 2020 entschied sich Theresa Sommerfeld, eine Tierarztpraxis für rein telemedizinische Beratung zu gründen – am 1.11.2020 ging TelVet online.
Hintergrund:
Telemedizin in der Veterinärmedizin
Kaum eine tiermedizinische Geschäftsidee hat sich so schnell in den Köpfen der Kunden etabliert wie die Telemedizin – auch durch die Corona-Pandemie. Davor war es eher ein Markt für Startups. Inzwischen haben sich ganz unterschiedliche Anbieterstrukturen rund um das Thema Telemedizin etabliert (Grafik mit Beispielen).
Dabei unterteilt sich der Telemedizin-Markt (grob) in drei Bereiche, deren Abgrenzung nicht immer trennscharf ist.
Externe Telemedizin-Anbieter: Durch Namen wie Dr. Sam, FirstVet oder Pfotendoctor ist die tierärztliche Telemedizin medial bekannt geworden. Die meist technikgetriebenen Startups bringen als digitale Vermittler Tierbesitzer und Tierärzte zusammen. Letztere können angstellt sein, arbeiten aber meist freiberuflich für die Plattformen.
Tierärzte oder Praxisketten als Telemedizin-Anbieter: Tierärztinnen und auch Tierarztketten haben Telemedizin inzwischen auf ganz unterschiedliche Art und Weise in ihr eigenes Angebot integriert:
- Als Eigenlösung für (Bestands)Kunden via Videochat-Programm.
- Als professionalisiertes Angebot in Zusammenarbeit mit einem Technikdienstleister (s. u.).
- In Zusammenarbeit mit einem externen Anbieter, der die Telemedizindienstleistung für die Praxis übernimmt (z.B. FirstVet).
- Als eigene Marke in einem Ökosystem (Dr. Fressnapf <–> Activet) oder als zentraler Bestandteil eines speziellen Angebotes (Hausbesuche / Felmo)
- Oder – wie Dr. Sommerfeld / TelVet – als rein digital aufgestellte, selbständige Tierarztpraxis.
Technikdienstleister: Tierarztpraxen oder Tierärztinnen, die ein Telemedizin-Angebot aufbauen wollen, können dazu spezielle Techniklösungen von Dienstleistern nutzen.
- Die sind zum Teil national von Tierärzten für Tierärzte entwickelt (Bsp. VetGuru / tierarzt-online.org).
- Zum Teil integrieren auch Praxissoftware-Anbieter Telemedizin-Lösungen in ihre Programme.
- Oder es gibt international agierende (Software)Anbieter (Bsp. Vetstoria / Linkyvet).
- In den USA haben auch „bekannte Player“ Telemedizinsoftware-Lösungen im Angebot (etwa Boehringer –>PetProConnect / pawru).
Der Telemedizinmarkt ist erst im Aufbau. Welche Struktur sich letztlich vorherschend durchsetzen wird, ist noch offen.
Kammerregeln
Getrieben durch die Kontaktreduzierungen aufgrund der Coronapandemie haben Berufsverbände und Kammern sehr zügig „Regeln“ für das „Alternativangebot Telemedizin“ formuliert, so dass Tierärzte dieses Feld nicht externen Anbietern überlassen müssen:
- Der Arbeitskreis „Telemedizin“ der Bundestierärztekammer hat im April 2020 erste Empfehlungen zur Anwendung der Telemedizin (PDF-Download) veröffentlicht und im November 2020 hat die BTK die Musterberufsordnung (§ 12.6) angepasst.
- Die Tierärztekammer Nordrhein (NRW) hat im November 2020 als erste Kammer ihre Berufsordnung geändert:
- Der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) hat im Februar 2021 eine Positionspapier Telemedizin (PDF-Download) veröffentlicht
- und arbeitet an Handreichungen für den Umgang mit Drittanbietern von Veterinär-Telemedizin.
USA: Guidelines zur Telemedizin
Der US-Tierärzteverband AVMA hat eine umfangreiche Informationssammlung „Telehealth“ für seine Mitglieder eingerichtet. Dazu gehören auch zwei frei zugängliche, sehr informative Broschüren:
- Die AVMA-Guidelines Telehealth in der Veterinärmedizin (PDF-Download)
- Die AVMA/AAHA-Guidelines für Kleintierpraxen/-kliniken inkl. Connected-Care-Informationen (PDF-Download)
International betrachten große Klinik-Ketten telemedizinische Beratung als einen Bausstein in einem übergreifenden Connected-Care-Ökosystem, dass Kunden über diverse Kanäle eng(er) an die Praxis/Klinik binden soll.
Für externe Investoren ist die Telemedizin ebenfalls oft eher „qualifzierter Türöffner“, um dann – wenn man einmal den Sprung ‚auf das Handy geschafft‘ und damit Kundendaten gewonnen hat – weitere Leistungen anzubieten.
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Bildnachweise: AdobeStock / Sommerfeld privat / AVMA / wir-sind-tierarzt.de